Der Austausch ist das Wichtigste

Porträt: Reinhard Becker ist selbst nicht an Parkinson erkrankt. Dennoch leitet er die Göppinger Gruppe.

Text von Franziska Ruf.

„Brigitte, wie lange sind wir schon dabei?“, ruft Sibylle über einige Kaffeetassen hinweg. Zehn Jahre seien es bestimmt, dass sie mit ihrem Mann Siegfried die Selbsthilfegruppe Parkinson besucht. „Zwölf Jahre“, lautet die Antwort. Brigittes Mann war an Parkinson erkrankt, ist aber vor einem Jahr gestorben. Sie komme trotzdem noch, wegen der Menschen. „Es wird viel gelacht“, schaltet sich ihre Sitznachbarin ein. Karl-Richard sagt: „In der Gemeinschaft macht es mehr Spaß als allein.“

Reinhard Becker steht an diesem Montag erst zum zweiten Mal vor der Gruppe. In Trachtenweste, Baumwollhemd und Jeans begrüßt er die Runde mit ruhiger Stimme. Die Gymnastikeinheit müsse diese Woche ausfallen, die Instrukteurin sei krank. „Lauter!“, ruft jemand aus der hinteren Reihe. Kräftiger fährt Becker fort: „Wer hat schon mal etwas von Gemeinwohlökonomie gehört?“ Auch er habe es googeln müssen. Später werde Professor Andrés Musacchio von der Evangelischen Akademie Bad Boll dazu reden.

Vor seiner Rente war Reinhard Becker Pressesprecher bei der Evangelischen Akademie in Bad Boll. Als ihn sein Bekannter Helmut Klatt fragte, ob er die Leitung der Göppinger Selbsthilfegruppe übernehmen würde, sagte er zu. Klatt hatte die Treffen über zehn Jahre hinweg organisiert. Sein Nachfolger ist nicht von der Nervenkrankheit betroffen. „Ich habe bis vor kurzem nicht einmal viel über Parkinson gewusst“, sagt Becker. Dennoch wollte er es versuchen. Er sagt: „Herausforderungen sind ja auch eine Chance, sich selbst kennenzulernen.“

Die ersten Teilnehmer spazieren kurz vor 14 Uhr in die Frisch-Auf-Gaststätte. Bald sitzen 18 Männer und Frauen an der langen Tischreihe, plaudern, bestellen Kaffee und Berliner. Am vorderen Ende sitzt Albrecht: weißer Vollbart, schmales Gesicht, lila Wollsocken. Vor 14 Jahren habe ein Verwandter gemerkt, dass er nicht mehr normal läuft. Albrecht ließ sich untersuchen. Die ersten beiden Ärzte vermuteten Parkinson, der dritte bestätigte es.

Manchmal geht es ihm so gut, dass er übermütig wird, erzählt Albrecht. Da wolle er allein spazieren gehen, nur mit Rollator. Doch er weiß: In der nächsten halben Stunde kann es ihm ganz anders gehen. Seine Muskeln verkrampfen sich, er kann nichts mehr bewegen. Besonders schlimm sei es nachts. „Da fühle ich mich wie welkes Laub am Boden“, sagt der 78-Jährige. Umso mehr freue er sich, morgens allein aufstehen zu können. Jede Dehnung sei ein kleiner Erfolg.

Parkinson ist bisher nicht heilbar. Dafür lässt sie sich laut dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) über Jahre hinweg gut mit Therapien kontrollieren, etwa mit Medikamenten. Auch Sport beeinflusst den Verlauf günstig. Oft tritt Parkinson ohne erkennbaren Auslöser um das 60. Lebensjahr auf. Als Ursache haben Forschende erkannt, dass Nervenzellen im Hirnstamm absterben. Diese Zellen setzen den Botenstoff Dopamin frei, der für die Feinabstimmung der Muskelbewegungen entscheidend ist.

Reinhard Becker möchte regelmäßig Expertenvorträge einbringen, etwa über neue Erkenntnisse in der Medizin, zu Medikamenten oder Hilfsgeräten. Jeden Monat ein neues Thema – diesmal die Gemeinwohlökonomie, eine Bewegung für nachhaltiges und ethisches Wirtschaften. Sein Vorgänger Helmut Klatt habe zwischendurch Geige gespielt und gesungen. Becker scherzt: „Ich könnte eher jonglieren oder Feuerspucken, ich habe mit meinen Kindern viel Zirkus gespielt.“ Eines ist für ihn klar: Der Austausch in der Gruppe ist das Herzstück der Treffen. Er sagt: „Egal, wer dort sitzt, es ist immer eine gute Unterhaltung.“ Franziska Ruf

Termine der Selbsthilfegruppe

Die Parkinson-Selbsthilfegruppe Göppingen ist eine Regionalgruppe der Deutschen Parkinson-Vereinigung. Sie trifft sich an jedem vierten Montag im Monat von 14 bis 17 Uhr in der Göppinger Frisch-Auf-Gaststätte in der Hohenstaufenstraße 142. Jeden Freitag von 10 bis 11 sowie von 11 bis 12 Uhr findet eine Spezial-Gymnastik statt. Treffpunkt ist die BSG-Turnhalle in der J.F.Kennedy-Straße. Mehr Infos gibt es unter www.kreisbehindertenring-goeppingen.de/mitgliedsverbaende.