„Barrierefreiheit nützt allen und schadet niemandem“ – September 2024

„Barrierefreiheit nützt allen und schadet niemandem“

Jubiläum Der Stadtbehindertenring Geislingen feiert sein 20-jähriges Bestehen. Die Mitglieder sehen weiterhin Verbesserungsbedarf.

Von Rebecca Hummler

Den Stadtbehindertenring Geislingen (STeiGle) gibt es inzwischen seit 20 Jahren. Das Jubiläum wird in Kooperation mit der Rätsche am 15. September mit der Inklusionsband Groove Inclusion gefeiert (siehe Info). Seit 2004 setzt sich der Verein vor allem für Barrierefreiheit und gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung ein. Im Gespräch mit der GZ berichten drei der aktivsten Mitglieder – Reinhard Grams, Gisela Kohle und ihr Ehemann Klaus Kohle, was bislang angegangen wurde und was aus ihrer Sicht noch zu tun ist.

Gisela Kohle erzählt, dass der Verein am 12. Mai 2004 gegründet worden ist. Dem war im Jahr davor das europäische Jahr der Menschen mit Behinderung vorausgegangen. Anlass für die Gründung war damals unter anderem die Situation in Geislingen im Hinblick auf die unzureichende Barrierefreiheit, das Schaffen eines öffentlichen Bewusstseins sowie Menschen mit Behinderung die Möglichkeit zu geben, sich auszutauschen. Der Name STeiGle steht für Selbstbestimmung, Teilhabe und Gleichstellung.

Wunsch nach mehr Initiative vonseiten der Stadt.

Klaus Kohle berichtet rückblickend, dass der Fokus zunächst auf dem Bahnhof lag. Die Bahn habe bei der Umsetzung auch kaum Tempo vorgelegt. Die Aufzüge etwa seien dann letztlich erst im Sommer 2021 fertig geworden und in Betrieb genommen worden. Die Aufzüge fallen immer wieder aus, ihre Reparatur dauere in der Regel lange, sagt Gisela Kohle. Reinhard Grams kritisiert zudem: „Auch jetzt haben wir keinen barrierefreien Bahnhof. Die Bahnsteige sind immer noch auf einem sehr niedrigen Niveau, das ist nach wie vor unbefriedigend.“

Doch es gab auch Dinge, die schnell umgesetzt worden sind. Klaus Kohle nennt als Beispiele die Sitzerhöhungen auf verschiedenen Bänken in Geislingen – das sei zwar eine Kleinigkeit, aber hilfreich, etwa für Menschen mit Hüftproblemen.

Wir haben gleichermaßen den Eindruck, dass die Fußgängerzone ­holpriger wird. Reinhard Grams

STeiGle-Mitglied

Reinhard Grams berichtet, dass auch die Rollstuhlspur zwischen Adlerstraße und Kirchplatz schnell umgesetzt worden ist. Das sei gerade auch für Menschen, die aus dem Samariterstift in die Fußgängerzone wollen, wichtig. Zuvor sei anstelle der Spur ein robustes Kopfsteinpflaster gewesen, das auch ein Hindernis für Rollstuhlfahrer war. „Da hat die Stadt nachgegeben“, sagt Grams. Die Rollstuhlspur sei zwar nicht besonders glücklich platziert, „aber es gibt sie“.

Und dann ist da noch die Kreuzung am Nel Mezzo. Diese sei zweimal umgebaut worden, nach dem ersten Mal sei sie zwar ordentlich gewesen, „aber nicht barrierefrei“, sagt Grams. „Umso überraschter waren wir, als die Kreuzung nochmal umgebaut wurde.“ So gebe es etwa für Rollstuhlfahrer an den Bordsteinen eine Totalabsenkung. Auch der Kreisel in der Bahnhofstraße sei mit Blick auf die Barrierefreiheit „insgesamt sehr gelungen“, ergänzt Klaus Kohle.

Doch die drei formulieren auch deutliche Kritikpunkte und sehen weiterhin viel Verbesserungsbedarf. Wichtig ist ihnen beispielsweise der Bildungsbereich. Schon an den Realschulen hapere es mit der Barrierefreiheit, „und an Grundschulen sowieso“, meint Reinhard Grams. Gisela Kohle sagt dazu: „Momentan werden Kinder mit Behinderung stundenlang durch die Gegend gefahren“ für den Schulbesuch. Die Gymnasien seien beide barrierefrei.

Auch Wahllokale – oftmals werden ja ebenfalls Schulen dafür genutzt – sind für die Mitglieder ein Thema. Zwar gebe es einzelne barrierefreie Wahllokale, wie etwa den Kindergarten in Eybach. Aber wer als Mensch mit Behinderung als Wahlhelfer aktiv werden wolle, brauche auch eine barrierefreie Toilette.

„Die Fuzo wird holpriger“

Auch in der Fußgängerzone sehen die STeiGle-Mitglieder noch Handlungsbedarf. Grams berichtet: „Wir haben gleichermaßen den Eindruck, dass die Fuzo holpriger wird.“ Für Menschen mit Rollator sei das besonders unangenehm, weil das auf die Hand gehe. „Die Stadt müsste mal eine Rollstuhlspur anbringen, am besten auf beiden Seiten“, sagt er. Und: „Wenn man das mal angeht, dann sollten auch die Geschäfte barrierefrei sein.“ Bei manchen Geschäften gebe es Stufen.

Auch weitere Themen wie die Versorgung mit öffentlichen und barrierefreien Toiletten sowie die Bushaltestellen sprechen sie an – letzteres „soll endlich nächstes Jahr angegangen werden“, berichtet Grams.

Was die drei grundsätzlich stört, ist die Gedankenlosigkeit, die in der Regel dahinter stehe. Gisela Kohle findet: „Menschen mit Behinderung sollten als Experten in eigener Sache wahrgenommen werden.“ Und ihre Perspektive sollte von vornherein mitgedacht und die Betroffenen proaktiv eingebunden werden. Zudem „würden wir uns mehr Initiative von der Stadt wünschen“. Denn: „Barrierefreiheit nützt allen und schadet niemandem“, sagt sie. Das sei bei der Inklusion, die über Barrierefreiheit hinausgehe, genauso.

Info Das Jubiläum wird in Kooperation mit der Rätsche und zusammen mit der Bigband Groove Inclusion am Sonntag, 15. September um 15 Uhr gefeiert – auch bei schlechtem Wetter. Der Eintritt ist frei. Wer Interesse hat, bei STeiGle mitzuwirken, kann sich telefonisch unter (07331) 6 06 96 melden.